2024-12-29 –, Saal 1
Language: Deutsch
In beschleunigten Krisenzeiten wächst mit der Überforderung auch die Sehnsucht nach einer klaren Ordnung: Weltbilder, die das Chaos auf ein moralisch aufgeladenes "Entweder-Oder" reduzieren.
Mit dieser binären Logik werden alle Lösungen, die das "Sowohl-als-auch" denken, abgemäht. Die verheerende Folge: zwischen aufgeheiztem Lagerdenken, Positionierungsdruck und Rhetorik von individueller Schuld und Scham ist kein kollektives Handeln mehr möglich.
Der Talk macht das unmoralische Angebot eines universalistischen und anwender*innenfreundlichen „Security-Updates". Eine Empfehlung, auf was wir dringend achten sollten, um unser Netzwerk handlungsfähig zu halten.
Der Talk gliedert sich in drei Kapitel:
KAPITEL 1 – Ground Control to Major Tom: Wir alle sind nicht ganz schwindelfrei und suchen nach Anbindungen oder Gravitationsfeldern, die uns in der unendlichen Kontingenz des Daseins Orientierung geben. Diese zutiefst menschliche Sehnsucht nach Sinnanziehungskraft kann man erstmal als solche anerkennen und ohne Scham annehmen. Das ist das klassische Business von Religionen (religare → la „anbinden, zurückbinden, festhalten, an etwas festmachen“). Nun hinterlassen in einer größtenteils säkularen Gesellschaft die zum Glück arbeitslos gewordenen Religionen viele ungebundene Individuen. Leider selten freie Radikale, vielmehr eine durch neoliberale Politik und kapitalistische Erzählungen individualisierte, unorganisierte Schar von Wesen, die ziemlich ‚lost’ sind – und dadurch empfänglich für moralisch durchtränkte Diskurse – gegenwärtig vor allem solche, die das Individuum in den Mittelpunkt stellen. Das Problem daran: Kollektives Handeln wird immer schwieriger zu organisieren.
KAPITEL 2 – Leaving moral highgrounds: Alain Badiou ist ein Philosoph, der weltweit und nicht nur in akademischen Kreisen gelesen wird, in Deutschland aber kaum bekannt ist. Dabei hat er gerade zu dieser Fragestellung einiges zu sagen. Sein Plädoyer gilt der Verknüpfung von Subjektivität und Universalismus statt dem Versuch, Partikularitäten zu kontrollieren – wie es seiner Meinung nach identitätspolitische Ansätze versuchen. Stattdessen schlägt er vor, Subjektivität als kollektive ‚illegal instruction‘ zu denken. Was erstmal abstrakt klingt, bringt sehr konkrete Konsequenzen mit sich, wenn man sie in den (netz-)aktivistischen Alltag übersetzt – was im dritten Teil getan wird:
KAPITEL 3 – Völlig Losgelöst?! Unverbindliches Angebot eines „Security Updates“ mit praktischen Hinweisen, Anregung zur Selbstreflexion und vielen offenen Fragen, die mit in die eigenen Strukturen genommen werden können. Am Ende läuft alles auf eine Frage hinaus: Warum macht Major Tom einen Scherz?
Philosophin, forscht zu Grenzüberschreitung, Leiblichkeit und politischem Aktivismus. Interessiert sich dafür, was Menschen dazu bewegt, an die absurdesten Sachen zu glauben (z.B. die Hölle, das Volk oder den Markt). Jodel-Aktivistin, Hedonistin und Sterbebegleiterin aus Berlin.
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